HOCHHEIM. Gut 600 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen am vergangenen Samstagabend in die Georg-Hofmann-Halle. Eingeladen hatte das Blasorchester Hochheim (BOH), das in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert und mit einem Jubiläumskonzert seinen Geburtstag gebührend zelebrieren wollte. Zahlreiche Konzertbesucher waren bereits kurz nach Saalöffnung da, um sich im Cateringbereich im vorderen Hallensegment bei einem kühlen Getränk und ausgewählten Häppchen auf die Musikpräsentation einzustimmen.
Die Mitglieder des Fanfarenzugs Chorgeist hatten mit Angehörigen den Service übernommen und Sascha Koenig mit geschmackvoller Illumination eine Wohlfühlzone kreiert. In gewohnter Professionalität setzte er auch die Bühne ins rechte Licht, die von der Gärtnerei Mohr frühlingshaft dekoriert worden war. Für den guten Ton hatte Koenig dort zahlreiche Mikrofone positioniert, die sicherstellten, dass alle Instrumente zu hören waren und über die PA-Anlage als harmonischer Klangkörper die Halle beschallten.
Blasorchester-Ehrendirigent unter den Zuhörern
„Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, die Sporthalle in einen Konzertsaal zu verwandeln“, begrüßte die BOH-Vorsitzende Christina Lindt mit der zweiten Vorsitzenden Kerstin Moravek die Gäste. Darunter befanden sich als Vertreter für das politische Hochheim Stadtverordnetenvorsteherin Claudia Weltin und Bürgermeister Dirk Westedt sowie ein von den Musikerinnen und Musikern ganz besonders willkommener Zuhörer, der BOH-Ehrendirigent Rail Grodzenski. Mit seinem mehr als zwei Jahrzehnte langem Wirken hat er maßgeblichen Anteil an der musikalischen Qualität des Ensembles.
Am Samstag war es endlich Nico Leikam vergönnt, sich als würdiger Nachfolger am Dirigentenpult des Blasorchesters einem breiten Publikum vorzustellen. Pandemiebedingt folgten auf seinen Amtsantritt 2019 Jahre, in denen der Probenbetrieb zum Erliegen kam. Umso gespannter waren die Zuschauer, wie sich unter seiner Leitung das Orchester präsentiert. Dabei scheint er stets den richtigen Ton zu treffen. „Es gab Proben, da fragten wir uns, ob das wohl was wird“, gestand nach dem Auftritt die Vereinsvorsitzende. Aber so ein Zweifeln vor der eigenen Courage ließ Leikam nie gelten, weil er um die Qualitäten des Orchesters weiß und dies stets in den Proben vermittelte.
Neuer „Reiseleiter“ nimmt alle musikalisch an die Hand
Als Moderator des Abends stand Achim Munck auf der Bühne. Der Nachfolger im Amt von Eddy Weins hatte zur Vorbereitung auf das Konzert zahlreiche Proben im Vereinsheim am Weiher besucht, um sich auch mental einzustimmen auf die einzelnen Musikvorträge. Bei seiner Premiere als unterhaltsamer Musikstücke-Erklärer, oder wie er es nannte, „Reiseleiter auf dem Kreuzfahrtschiff, das sich auf eine musikalische Weltreise mit dem BOH begibt“, informierte er humorvoll und kurzweilig sein Publikum mit sinnesleitenden Hinweisen über die zu hörenden Klangbilder.
Die erste musikalische Breitseite feuerte das Blasorchester gleich zum Auftakt mit „Ross Roy“ ab, einem bombastischen, kraftvollen wie zugleich einfühlsamen Stück orchestraler Blasmusik. Der Titelname weist auf ein Schulkolleg in Brisbane, Australien hin, dessen Leben der Komponist vertonte.
Träume können fantastische Geschichten sein, oft bruchstückhaft ohne Zeit und Raum, die eine mystische Welt entstehen lassen. Dies war Grundlage des zweiten Titels „Imagasy“, bei dem zahlreiche Klangfarben und Formungen intoniert wurden. Tempi-Wechsel und dynamische Akzente hoben verschiedene Traumsegmente hervor.
Danach folgte ein „Masterpiece“ für Blasorchester von einem Österreicher. „Um die Welt in 80 Tagen“ beschreibt die musikalische Zusammenfassung der gleichnamigen Wette von Phileas Fogg nach dem Roman von Jules Verne. Das sei „Kino für die Ohren“ meinte Munck. Zitationen mehrerer Nationalhymnen, orientalisch anmutende Tonfolgen auf dem Weg durch Kleinasien, elefantöse Trompetenklänge in Indien, pentatonische Motive als Hinweise auf China und Japan, um nach der Fahrt über den Pazifik auf amerikanischem Grund durch den Wilden Westen zu reiten, gejagt von indigenen Bewohnern der Prärie, um rasch auf die Snare trommelnde Eisenbahn umzusteigen, die mit dem Orchester musikalisch an die Ostküste brettert. Zu den Sinatra-Klängen von „New York, New York“ dann weiter auf dem Raddampfer Richtung England mit dem großen Finale zu den Glockenschlägen von Big Ben und dem Happy End.
Ein Jahr zuvor hatte das aus Profimusikern bestehende hessische Landespolizeiorchester dasselbe Stück voller Klanggewalt und dynamischer Differenziertheit in den Instrumentengruppen an gleicher Stelle zum Besten gegeben. Wer Musik nicht nur konsumiert und besondere Klangerlebnisse in seinem Langzeitgedächtnis zu speichern vermag, konnte am Samstagabend anerkennend vergleichen, auf welch hohem Qualitätsniveau das Blasorchester Hochheim unterwegs ist.
Das Thema Mobilität ließ das Blasorchester auch beim letzten Stück des ersten Konzertteils nicht los. Mit „Oregon“ kam die musikalische Zugreise – zunächst in Moll am Bahnhof startend – langsam in Schwung, nahm gewaltig Fahrt auf Dur-Schienen auf, um pünktlich zur Pause im Zielbahnhof anzukommen.
Direkt nach der Pause stand das Nachwuchsorchester „Weiherfrösche“ im Rampenlicht. Unter der Leitung von Peter Mayer wurden vier Musikstücke mit Bravour vorgetragen, entsprechend dem Alter der Musizierenden jüngeren Entstehungsdatums: von Pink bis One Republic. Achim Munck gestand, dass ihm beim Song „Blinding Lights“ die klassische Interpretation der Weiherfrösche mit analogen Instrumenten wesentlich besser gefalle als das von Synthesizerklängen dominierte Original.
Danach kam das Blasorchester mit auf die Bühne und gemeinsam mit den Nachwuchskräften wurde der „Wolkenmann“ zum Besten gegeben mit Windgeräuschen aus Instrumentenöffnungen. Anschließend ging es für das BOH „alleine“ weiter mit dem Konzertmarsch „Arsenal“. Ein „Must Play“ für Orchester – das anspruchsvolle „Rucki Zucki“ der Blasmusik, geschrieben vom Genre-Popstar Jan van der Roost. „Wer da nicht mitwippt, dessen Hörgerät ist defekt“, beschrieb der Moderator den rhythmisierenden Charakter des Stücks.
Das sollte sich noch steigern lassen. Mit dem Blues Brothers-Medley gerieten nicht nur die jüngeren unter den älteren Zuhörern in Verzückung und fühlten sich ins Jahr 1980 zurückversetzt, als der Kultmusikfilm in die Kinos kam. Das „Rhythm and Blues“-Feeling ergriff jeden. Aus der Notenkiste arrangierten Liedguts für Orchester wurde mit der Neuen Deutschen Welle nachgelegt. Das BOH schleuderte NDW-Klassiker in die beschwingte Menge: „Skandal um Rosi“, „Ohne Dich“, „1.000 Mal berührt“, „Amadeus“ und „Sternenhimmel“. Als gefühlvollen Abschluss und „Gute-Laune-Song“ wurde „Beautiful day“ von Michael Bublé gespielt. Danach gab es kein Halten mehr und die begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörer forderten mit stehenden Ovationen vehement Zugaben, denen das Blasorchester bereitwillig nachkam.
WER SPIELT DIE MUSIK?
Dirigent: Nico Leikam;
Querflöte: Edith Elsner, Isabella Haacke, Christina Lindt, Fenja Moravek, Kerstin Moravek, Gisa Steinke;
Klarinette: Jürgen Euller, Martin Haacke, Kevin Herud, Christine Hofmann, Katja Schömenauer, Mathis Singer, Marcel Straßburger, Martin Zimprich, Sarah von Westerholt;
Alt-Saxophon: Felix Fuhrmann, Uta Ganz, Marcel Moravek, Jens Petri, Andrea Pönitz;
Tenor-Saxophon: Melissa Buecher-Nelson, Petra Mülbüsch, Dieter Munk;
Bariton-Saxophon: Jonas Bollermann;
Trompete: Jörg Eimer, Christoph Götz, Wolfgang Horaczek, Lothar Kaufmann, Julian Krestan, Maximilian Lambrecht, Hans-Jörg Pusch, Max Sachs;
Waldhorn: Wolfgang Gregor, Jonathan Pönitz, Paul Weber; Tenorhorn/Bariton Walter Klein, Heinz Wimbauer;
Posaune: Harald Betzler, Martin Hartung, Maximilian Jacobi, Julia Wolf; Tuba: Jürgen Velten; E-Bass: Heinz Manskirch; Schlagwerk: Wolfgang Herud, Joachim Resch, Wolfgang Schmit, Hermann von Westerholt.
Nachwuchsorchester Weiherfrösche
Dirigent: Peter Mayer; Querflöte: Fenja Moravek; Klarinette: Lucia Pagnozzi, Sophie Pönitz; Trompete: Lea Eisholh, Judith Schindler, Franziska Moschner, Luca Pagnozzi; Alt-Saxophoon: Raphael Kappen, Bastian Konersmann, Jonas Roth; Posaune: Maximilian Jacobi, Swea Wittig; Schlagwerk: Philipp Schramm
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- vom 28.03.2024